Zeitungsartikel von L. Schüppach-Herbst

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Back to the roots“, eine Akademie sucht ihren Ursprung:

Neue Schweizer Akademie in Hottwil

(lsw) Am Samstag gründeten die Nachfahren einer der größten Adelsfamilien Europas zusammen mit Freunden und geladenen Vertretern des Kantons die Wessenberg-Akademie in Hottwil

Heute findet man nur noch von Pflanzen überwucherte Steine. Hoch über Hottwil und Mandach stand einst eine stolze Burg. Es war die Festung der Herrschaft Wessenberg, deren früheste urkundliche Erwähnung bis ins Jahr 1072 geht.

Nebst dem Stammschloss Hottwil besaßen die Wessenbergs Lehen in Burg im Kanton Baselland, im Sundgau, im Breisgau wie auch diverse Stadtpalais und Schlösser. Mitglieder der Familie waren als Berater an deutschen Fürstenhäusern tätig, so zum Beispiel Johann Philipp von Wessenberg, der Anfang des 19. Jahrhunderts Gesandter am Wiener Kongress war. Sein Bruder Ignaz Heinrich Wessenberg war Generalvikar des Bistums Konstanz und fiel durch seine gewagten Reformen beim Papst in Ungnade. Ihm verdankt die Stadt Konstanz die Wessenberg-Bibliothek, die mit einem Bücherschatz von zwei Kilometern Länge dem interessierten Publikum offen steht.

Auf den Spuren der Vergangenheit

Noch liegen große Teile der Familiengeschichte im Dunkeln. Sicher ist, dass neben den Männern der Familie auch viele Frauen eine wichtige Rolle spielten. Da war zum Beispiel die internationale und unkonventionelle „schöne Olga“, sie war eine von der Gesellschaft gefeierte Schauspielerin auf der Bühne der Politik in Paris. Man sagt ihr brisante Kontakte zu höchsten politischen Kreisen bis hin zur napoleonischen Familie nach. Dann Helen, gebürtige Ungarin und Großmutter von Peter Heinrich von Wessenberg, in England aufgewachsen, die den historischen Familienschatz zu heben half.

Viele der von Wessenbergs kannten die berühmten Politiker der damaligen Weltgeschichte intim und pflegten einen regen Briefwechsel, ihre Einschätzungen und Befürchtungen zu der momentanen politischen Situation untereinander mitzuteilen. Die Schweiz galt für manche Familienmitglieder als sicherer Hafen in dem damals unbeständigen Europa. In den Wirren der Zeit erklärten Chronisten das Geschlecht der von Wessenberg immer wieder als ausgestorben. Dass dem nicht so ist, das beweisen Professor Peter Wessenberg mit seiner Gattin Brigitte. Das blaublütige Paar aus Innsbruck widmet sich seit einiger Zeit intensiv der Geschichte der Familie.

In Zusammenarbeit mit Verwandten aus England suchen sie nach Spuren, Schlössern, Burgen und auch nach den Gräbern des Wessenberg-Clans. Sie sind es auch, die jetzt in Hottwil die Wessenberg-Akademie ins Leben gerufen haben.

Die Akademie – Hort des Wissens und Suchens

„Im Kleinen, Verborgenen und deshalb provozierend Rätselhaften liegt zweifellos ein besonderer Reiz“, meint Professor Kurt Stoessel, einer der Mitbegründer der Akademie. Und weiter: „Hottwil ist symbolisch ein Ort, an dem alles zusammenfließen kann, da er die Wiege der Familie Wessenberg darstellt und gleichzeitig in die Zukunft verweist.“ Die Wessenberg-Akademie möchte in erster Linie ein Tor in die Vergangenheit sein, sie trachtet danach, geistige Güter eines alten Adelsgeschlechtes aus dem Aargau zu sammeln und zu verknüpfen und die Ergebnisse Wissenschaftern, Lehrenden und der interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dies wird hauptsächlich auf virtueller Basis vermittelt. Vorgesehen sind aber auch Ausstellungen und in gewissen zeitlichen Abständen Referate und öffentliche Berichterstattungen. Dies alles aber immer im weitesten Rahmen der Wessenberg-Geschichte, in einer möglichst transparenten und klar verständlichen Form. Seien dies nun geschichtlich erwiesene oder auch boulevardeske Erzählungen, die Geschichte der von Wessenberg spiegelt immer auch die Geschichte und den Wandel Europas in den letzten Jahrhunderten wider.

Neue Ideen auf traditionellem Papier

So wurde am Samstag unter dem Patronat des Aargauer Landammanns Kurt Wernli, Gemeindeammann Jörg Stolz, Familienmitglieder der Wessenberg und Vertreter der historischen Wessenbergorte aus dem Sundgau (Liebenswiller), aus Wien, Konstanz, und sogar aus England, sowie mit allen anderen geladenen Gästen von Archiven, Universitäten und Museen in Hottwil die Akademie aus der Taufe gehoben. Nach der interessanten Vorlesung über die Lösung eines Lehensstreites unter Brüdern der Familie Wessenberg im Mittelalter von Professor Kurt Stoessel aus Feldmeilen, er erläuterte auch die damalige historische und kunsthistorische Lage Europas, überbrachte Landammann Kurt Wernli die Grüße des Kantons und wünschte der neuen Akademie alles Gute. Auf traditionell handgefertigtem Papier bezeugten dann alle Anwesenden mit ihrer Unterschrift die Gründung der Wessenberg-Akademie. So kehren nun die Nachfahren der damaligen Lehensherren und Burgherren in den Kanton Aargau zurück, diesmal erfolgt die „Invasion“ nicht mit Hellebarden und Morgensternen, sondern mit einem interessanten virtuellen Projekt.