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Akademische Grußbotschaft

vom Zürichsee an die Erlauf, aus Helvetien ins Noricum

VIVAT, CRESCAT, FLOREAT
 

„sie lebe, sie blühe und gedeihe“, die schöne Marktgemeinde PURGSTALL: Dieser Freudenruf zum Wessenberg-Akademie-Tag 2005 sei dem 1. Bücherdorf Österreichs dargebracht. Nicht nur aus gepflegten touristischen Prospekten kommt einem Purgstall reizvoll, sympathisch und angereichert mit historischer Substanz entgegen, sondern vor allem aus einem trefflichen Exkurs des Bürgermeisters. Hier wird denn auch auf das geschichtliche gewicht der Kartause GAMING hingewiesen, sowie auf den Friedensfürsten Albrecht und auf seine Gemahlin, die kluge Pfirterin aus dem Sundgau, und weiterhin auf den großartigen intellektuellen Bestand, der in der Gaminger Bibliothek geborgen liegt.

Ein köstlicher Stabreim, „Herrschen, Hämmern, Handeln“, umreißt, chronistisch gesehen, die politische, bürgerlich-handwerkliche und kommerzielle Dynamik von Purgstall. Da nun dieses Purgstall im Netzwerk der Wessenberg-Dynastie seinen gebührenden Platz einnimmt, sei jenem Stabreim ein sozusagen wessenbergischer angegliedert:

Würde, Weite, Werte

1. Würde

liegt ja schon in den schweizerischen Anfängen. Unweit dem römisch-antiken, strategisch eminent wichtigen Legionslager VINDONISSA – so nebenbei schafft die keltisch-römische Form VINDO-(=weiß) gleich noch einen Bezug zu VINDOBONA, also zu Wien – haben die Habsburger und die Wessenberger nah beisammen ihren Stammsitz: fast auf gleicher östlicher Länge, genau 10 km nord-südlich auseinander. Nur sahen die Edlen die Burg der anderen nicht; ein Jurazug trennt die beiden Festen. Die eine , die Habsburg, ist als Aussichtspunkt und als Restaurant so wuchtig wie rudimentär wieder aufgebaut erhalten. Die andere, die wessenbergische, findet man in ihren Resten recht romantisch unter Efeu verborgen im Waldesschatten. Vom Hügelrücken herab, der Blick nordwärts dem Rhein entgegen gerichtet, schaut man links in der Tiefe auf das heimelig in der Talmulde geborgene Dörfchen Hottwil hinunter, wo ja die Herrschaft der Wessenberg und neustens die Akademie ihren Anfang nahmen. In der offiziellen schweizerischen Straßenkarte 1 : 200 000 ist diese Stammburg dank ihrer Ruinen-Signatur durchaus präsent und ablesbar.

Zum schmucken Dörfchen Hottwil und damit zum würdigen Auftakt der Wessenberg-Akademie sei nun aber, sozusagen als Crescendo und als Paukenschlag, das Stadtbild Konstanz gestellt. Markant steht hier, unweit des Münsters, das prachtvolle Wessenberg-Palais. Kein anderer Profanbau kommt ihm an diesem Orte an Schönheit, Adel und Würde gleich.


2. Die Weite:

Mit Hottwil und Konstanz steht nun eben die Weite des Wessenberg’schen Bereichs vor Augen. Ferne, gen Westen von diesem Zentrumsgebiet, liegt, zwischen Jura und Vogesen, der bereits erwähnte Sundgau, und hier, in Purgstall, sind wir bezogen auf die Kernzone, zwar bereits weit im Osten. Aber noch weiter ostwärts streckt sich die Wessenberg’sche Präsenz bis nach Böhmen hinein. Dabei sind diese zentraleuropäisch gelegenen Gebiete überschaubar und wohl begrenzt: nicht zu vergleichen mit der Überdimension habsburgischer Ländereien, die sich von den Säulen des Herkules bis zum Pazifik dehnten und in der wohlbekannten Vokalreihe AEIOU ihre megalomane Formel fanden: Austriae Est Imperare Orbi Universo“ (Österreich steht es zu, den ganzen Erdkreis zu beherrschen). Solcher Überheblichkeit hielten die Wessenberg, bei aller räumlicher Weite, weise das rechte Maß entgegen, getreu dem Kernspruch „Est modus in rebus“: alles wohl bemessen.


3. Werte.

Auf  Werthaftigkeit wurde zweifellos in den Referaten des heutigen Morgens eingegangen. Herausgehoben seien nun aber, jenseits der diplomatischen Leistungen eines Johann Philipp, die geistesgeschichtlichen Anstrengungen und Errungenschaften seines jüngeren Bruders, des Ignaz Heinrich von Wessenberg. Nicht umsonst figuriert er, nachdem alle anderen, auch Johann Philipp, aus den modernen Enzyklopädien haben abtreten müssen, nach wie vor im Glanz seiner geistigen Erscheinung: als aufgeklärter großer Kirchenmann im reichen Bistum Konstanz, mit seinen Kontakten zur damaligen Elite der neu geformten schweizerischen Eidgenossenschaft, mit seiner monumentalen Bibliothek, die jüngstens den Beständen der Universität Konstanz eingegliedert worden sind, und mit seinem furchtlosen Einsatz für eine gegenüber Rom weitgehend autonome Kirche.

Würde, Weite, Werte… so wie sie in der Wessenberg’schen Realität nachweisbar sind, gehören nun aber – mutatis mutandis – auch jener überragend bedeutsamen abendländischen Bewegung an, von deren Wirkungskreis auch die weitere Umgebung von Purgstall und Gaming erfasst worden ist, nämlich der Benediktiner-Orden. Wenn sich in der Nähe MELK und GÖTTWEIG als bauliche Symbole höchster Geistigkeit erheben, so sei der Brückenschlag zu ST. GALLEN gewagt: Hochburg glanzvoller frühmittelalterlicher  benediktinischer Kultur, und, wie für Melk und Göttweig, ein überragender barocker Neubau im 18. Jahrhundert. Noch heute glitzert von den Kreuzen herab, die über die beiden St. Galler Kirchtürme in den Himmel ragen, ein Segensspruch des Hl. Benedikt in die Stadt hinunter – mit den Anfangsbuchstaben zwar nur, aber von unbegrenzter Weite und Werthaftigkeit:

Crux Sacra Sit Mihi Lux, Non Drago Sit Mihi Dux: „Das Heilige Kreuz sei mir Licht, nicht das Böse sei mir Führer“.

Das mag nicht nur für St. Gallen gelten, sondern auch für Purgstall und seinen geistigen Raum.

Feldmeilen bei Zürich, 2.7. 2005-07-06

Kurt Stoessel

  

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