Die Bibliothek von Johann Philipp in Strasbourg

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Ein Beitrag von Roger Massie und Monica Azulay Gaspar (Bern)
zur 3. Akademiesitzung in Burg/Liebenswiller 2004
 

             

Wie kam es zur Schenkung der Bücher an Strassburg:

Bekannterweise wurde die Strassburger Uni-Bibliothek während der preußischen Belagerung der Stadt im Jahre 1870 zerstört. 1876, 18 Jahre nach dem Tod von Johann Philipp von Wessenberg, hat der neue Besitzer von Schloss Feldkirch - der preußische General Chlothar Graf Blanckensee Fircks zu Hugarten - die ganze Bibliothek der Neuen kaiserlichen Universitätsbibliothek geschenkt.

Auf Anraten von Frau Azulay, sollen die Buchtitel für sich selbst sprechen und nicht etwa die Biographie des Ministerpräsidenten spiegeln, obwohl er natürlich der Stolz von uns Wessenbergern ist.

Diese erste annähernde Untersuchung des Verzeichnisses bezieht sich vor allem auf den Korpus in deutscher Sprache, der in Kurrentschrift des 19. Jhdt. aufgelistet ist. Die angeführten Ergebnisse betreffen demzufolge nicht die ganze Sammlung und dürfen deshalb als exemplarisch betrachtet werden:

1. der gesamte Korpus der Bibliothek besteht heute aus etwa 2157 Titel und 3786 Bänden, in verschiedenen Sprachen. Etwas weniger al die Hälfte davon sind in Französisch verfasst. Von der Menge her folgt danach ein gewichtiger Korpus von deutschsprachig verfassten Werken. Englisch, Italienisch und Latein sind die nächsten in der Reihe der häufigsten Fremdsprachen in der Sammlung. In geringerem Maße enthält die Liste auch Bücher auf Spanisch, Holländisch, Griechisch, Portugiesisch und sogar Tschechisch.

2. Ein Blick in die deutsche Sammlung erlaubt es uns, einige interessante Daten über Alter und Herkunft der Bücher herauszustellen: die Mehrheit der über 650 Bände stammt aus Leipzig ( fast 12 % der deutschen Sammlung); es folgen Wien, Berlin, Frankfurt am Main ( 8,7%, 7%, 3,7%, 3,4%). Der Rest wurde in vielen anderen deutschsprachigen Städten Deutschlands, Preußens, Österreich-Ungarns, der Schweiz, Russlands ( und sogar Ägyptens!) herausgegeben. Das Veröffentlichungsdatum pendelt zwischen dem 17. und 19. Jht. genauer betrachtet sind die meisten dieser Bücher zwischen 1803 und 1859 publiziert worden. Das bedeutet: Johann Philipp hat in allen thematischen Kategorien eine Sammlung mit den aktuellsten werken seiner Zeit aufgebaut.

3. In Bezug auf die Thematik enthält die deutsche Sammlung eine erhebliche Zahl von Werken in historischen Sachgebieten (141 Exemplare) vorwiegend Zeitgeschichte, Politik und Recht (73, bzw 56) sind die nächst wichtigen Fächer; bemerkenswert ist auch das Volumen an Monografien ( über 50), Biografien und Briefsammlungen (40), Geografie und Statistik (40, bzw 33), sowie die Präsenz von mindestens 59 Werken über Finanzen und Geldverkehr, Handel, Wirtschaftspolitik und Strategie. Reiseführer und Reisebücher ( 369) fehlen nicht, sowie Bände aus dem Gebiet der Garten- und Kriegskunst. Die Bibliothek lässt weitere Themenkategorien erkennen: Literatur, Kunst, Naturwissenschaften, Rhetorik, Moral/Religion, Pädogogie, Soziologie, Staatliche und Administrative Angelegenheiten und Philosophie.

Abschließend möchte ich einige sehr subjektive, wenig akademische Bemerkungen über unseren Helden machen:

In aller Bescheidenheit  habe ich mit Johann Philipp gemein, dass ich über 30 Jahre ebenso wie er bestrebt war, ein friedliches, gerechtes Europa mit aufzubauen. Heute genießen wir alle hier den Segen Westeuropas - außer etwa im Balkan - einen Freden von außerordentlicher Rekorde brechender Dauer.

Was sagt eigentlich der Inhalt der Feldkircher Bibliothek über den Menschen Johann Philipp - und nicht nur über den Bevollmächtigten Österreichs am Wiener Kongress, den Träger des Großkreuzes des St. Stefan-Ordens?

Ich werde so weit wie möglich versuchen, gänzlich von politischen Aspekten zu abstrahieren:

Erstens hat man den Eindruck, dass es sich hier um einen wahren Bücherfreund handelt, selbst wenn ein Titel aus der Zeit seiner Londoner Mission wie "The library Companion or the Young man's guide an the old man's comfort in the Choice of a library" im Verzeichnis zu finden ist und etwas wenig spontan wirkt.

In vielen Kategorien über Politik und Zeitgeschichte - ein richtiger Schatz!- habe ich besonders bemerkenswert gefunden, dass neben mehreren Titeln über Napoleon und dessen Familie, sowie Talleyrand, Fouché und verschiedene englische Staatsmänner, kein einziger Titel über Metternich vorkommt!

Vielmehr beobachtet der dilettantische Leser des Verzeichnisses- also etwa ich - dass es sich weniger um die Sammlung eines deutsch-österreichischen Spitzenpolitikers handelt, als um die eines europäischen und weltgewandten, sehr franco- und anglophilen "homme du monde culturé" mit dem eigenartigen Geschmack des aristokratischen 18. Jahrhts.

Ich habe vergeblich nach dem Namen Burg im Leimental gesucht, aber sie kommt sicher vor in dem viel versprechenden Titel: "Voyage pittoreque de Base à Bienne", herausgegeben in Basel 1802. Übrigens sollten wir nicht velleicht gemeinsam anschließend diese Voyage angehen?

Außer der Faszination für das Reisen überhaupt, war Johann Philipp auch ein richtiger Kulturmensch. Neben den reichen Varianten von Reiseführern, auch selbstverfasst, wie z.B. "La Route du Simplon" oder die "Monumente von München" tauchen solche Werke auf, die uns andeuten, dass wir vor einem Johann Philipp stehen, der viel kultivierter als du und ich war. Dafür sprechen Titel in Latein und Griechisch, teilweise in Originalsprache (Cicero, Plinius, Plutarchetc). Auch die damals modernen Klassiker und Meister sind mengenweise vertreten:

-aus England: byron, Shelley, Macaulay, Scott
-aus Spanien: Cervantes
-aus Deutschland: Goethe Schiller, Heine
-aus Frankreich: Chateaubriand, Dumas, Diderot, Lamartine, Montequieu, Rabelais, de Tocqueville, George Sand, de Stael, etc

Die zwei letzten - darunter die Tochter des Finanzministers Neckar - sind selbstverständlich Damen. Die erwiesene Faszination Johann Philipps für das schöne Geschlecht wirkt äußerst sympathisch. Hier steht kein trockener Diplomat und Politiker. Nicht nur Madame Recamier und "Femmes de la Révolution" wäre erwähnenswert, entzückenderweise kommen noch unzählige Memoiren von königlichen Mätressen und Nelsons berüchtigte Mätresse, Lady Emma Hamilton dazu und - nicht zu verschweigen - mehrere Bände vom "Memoires indiscrètes".

Streng katholisch war er bestimmt. Dies verhindert nicht, dass man einige interessante Artikel findet, wie zB die "Religieuse"von Denis Diderot und "Lettre d'un chamoinesse de Lisbonne à Melchior officier francais" oder auch "Les Vierges martyres".

Seine Zuneigung zu Musik lässt sich durch die Präsenz von vielen Opernstücken und vor allem Handbücher zum Gitarrespiel nachweisen. Außerdem haben ihn die Natur und die Naturwissenschaften angezogen, was gleichzeitig einem überwältigendem Interesse an der Welt der Finanzen und Banken, Wirtschaft und Handel gegenüber steht.

Kurz möchte ich  aus dieser gar nicht langweiligen Sammlung doch 2 Kandidaten für den langweiligsten Titel vorschlagen:

1. von der Länge her das Werk von meinem Landsmann, einem gewissen Mr. Madden: "The infirmities of Genius illustrated by reffering the anomalies in the litterary character to he habits an constitutional peculiarities on Men of Genius"
 

2. von der Pekuniarität des Sachgebietes - abgesehen davon, dass meine wirtschaftswissenschaftlichen Kenntnisse gering sind - fällt mir der Titel des Schotten James Stuart sehr stark auf: "The Principles of money applied to the present state of the coin in Bengal"!

Für die nähere Familie von Johann Philipp wären meine Meinung nach die Lektüre seiner Bände über den Johanniter Ritter Orden ( der Orden, der das Schloss Diétenitz in Böhmen nach dem Tode des Enkels Philipp übernommen hatte) besonders interessant.

Und damit kommt mein Vortrag zu Ende, nicht ohne dass ich zuvor und zum Schluss die Fragen, auf die ich keine Antworten gefunden habe, den Interessierten überlasse. Ein "Gender issue" oder eine Geschlechterfrage: Warum sollte man davon ausgehen, dass die Feldkircher - jetzt Strassburger - Bibliothek nur Johann Philipp gehörte und nicht auch seiner Ehefrau Marie-Gertrude? Oder wie erklärt man sich die vielen Bände des Londoner "Ladies Magazine" im Verzeichnis? Hat es einen besonderen Grund, dass unser alphabetisch geordnetes Verzeichnis 3x von Neuem bei a anfängt? In wie weit hat Johann Philipp seine Bibliothek selbst bestimmt und wie weit haben die vielen Bücherkatalog-Bände über die Literaturauswahl von ihm entschieden?

Hoffentlich bin ich in der Betrachtung dieses Bücherschatzes nicht allzu leichtsinnig gewesen. Er hat mich in Wirklichkeit äußerst begeistert. Ich hoffe mit meinem Beitrag Ihre Neugier und Ihren Wissensdurst über diese Bibliothek hoch gehoben zu haben.

Roger Massie, 3. Juli 2004, Liebenswiller am Wessenbergwald